Doris Gutermuth

Zum großen Glück meines Lebens gehört die Begegnung mit Reformpädagogen in der Schulzeit. Die Kunst meiner Kindheit und Jugend war ein fortwährendes freies Ausprobieren, ohne jede Festlegung auf Material, Farbe oder Form, Thema oder Stil. Das freie Assoziieren, wie es mir später im Psychologie-Studium und in der Ausbildung zur Psychoanalytikerin begegnete, erschien mir von Anbeginn vertraut.

Der Beruf der bildenden Künstlerin kam erst spät in mein Leben – genauer gesagt im 50. Lebensjahr. Damals blickte ich schon auf 25 Jahre Berufserfahrung als psychologische Psychotherapeutin zurück. Eigentlich müsste der Titel meiner Biographie „Psyche und Art“ heißen, denn alle meine Projekt-Ideen sind Ausdruck angewandter Psychoanalyse, aber die Kunst stand bei mir schon immer an erster Stelle.

Art und Psyche gehören für mich untrennbar zusammen. Ein Leitsatz meines Lehrers Karl Oskar Blase trifft diese Erkenntnis im Kern: „Die Idee ist das Werk. Das Werk lebt die Idee.“

Prof. Dr. Holger Erhardt, Universität Kassel:

Die mobile Gesellschaft in den Märchen der Brüder Grimm
Märchenillustrationen auf Zebrastreifen-Design

Der Stil des Märchenerzählens – die Gattung Grimm – in Verbindung mit den Illustrationen von Ludwig Emil Grimm stellte in 1820er Jahren eine Anregung für die Neugestaltung von Text in Verbindung mit Bildern dar. Seine meisterhaften Illustrationen förderten die Beliebtheit und Bekanntheit der Grimm’schen Märchensammlung, die bis zur Ausgabe letzter Hand im Jahre 1857 beachtlichen Umfang gewann. Neuauflagen der 211 Märchentexte waren schnell vergriffen und Märchenillustratoren fanden reichlich Betätigung.

Diese im 19. Jahrhundert begonnene Erfolgsgeschichte sollte zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einer prachtvollen Jubiläumsausgabe ihre Fortsetzung finden. Otto Ubbelohde begegnete diesem Anspruch auf innovative Weise: Er verortete die Märchen und ihre Protagonisten wiedererkennbar in Kulturlandschaften von den Alpen bis zum Meer. Zudem verließ er den eingefahrenen Weg der titelbezogenen Ein-Bild-Illustration. Mit seinen in der Formensprache des Jugendstils ausgeführten Märchenillustrationen legte er neue Maßstäbe vor.

Die Flut an bewegten und unbewegten Bildern, die in analogen und digitalen Medien des 21. Jahrhunderts anzutreffen sind, hat auch auf die Märchenillustrationen Einfluss genommen. Fülle, Farbigkeit und nie versiegende Kreativität finden medial in unterschiedlichsten Stilrichtungen weltweit ihren Widerhall. Das Märchen-Faszinosum erweist sich als zeit- und grenzenlos. In dieser unübersichtlich gewordenen Lage eine innovative Jubiläums-Illustration zu erfinden, die wegweisend für das 21. Jahrhundert ist, stellt eine anspruchsvolle Aufgabe dar. Doris Gutermuth stellte sich 100 Jahre nach den Ubbelohde’schen Märchenillustrationen und in Erinnerung an die Textlastigkeit der Grimm’schen Anfänge dieser Herausforderung.

Neben ihrer Ausbildung in Grafik-Design und visueller Kommunikation bei Karl Oskar Blase bringt Doris Gutermuth noch ihre Berufserfahrungen als Psychoanalytikerin und Psychodrama-Therapeutin in ihre Arbeit als Märchenillustratorin ein. Ihre Entdeckung der mobilen Gesellschaft in den Märchen der Brüder Grimm geht mit ihrem Können einher, systematische Textanalysen durchzuführen und deren Ergebnisse szenisch so in Bilder zu fassen, dass eine märchenerzählende Bilderwelt ohne Sprechblasen und erläuternde Untertitel auskommt.

Doris Gutermuth richtet den Märchen und den darin agierenden Märchenfiguren mit dem Zebrastreifen-Design eine Bühne als beständigen Austragungsort ein. Die Künstlerin geht in der Verknüpfung von traditioneller Handzeichnung und digitaler Bildbearbeitung einen Schritt auf die von historischen Jahrmärkten bekannten Bildertafeln der Moritatensänger zu und findet zugleich neuzeitliche Wege, ihre Storyboards in digitalen Spielwelten via Internet global zu verbreiten. Bilder erzählen die Märchen. Der Text kann wahlweise begleitend hinzugezogen werden.

Otto Ubbelohdes Konzept von der Verortung in Kulturlandschaften nimmt Doris Gutermuth auf und entwickelt neue Interpretationen. Die Heimatbezogenheit findet im Zebrastreifen-Design, dem Symbol für Schutz und Sicherheit beim Überqueren der Straße, ihren Ausdruck. Der Anspruch, alle 211 Märchen der Grimmschen Sammlung zu illustrieren, führt zu der hohen Zahl von 8500 konzipierten Einzelbildern, die Sammelleidenschaft hervorrufen.

Doris Gutermuth sieht in den Brüdern Grimm ihre Vorbilder. Sie sagt selbst, auch sie werde höchstwahrscheinlich zu Lebzeiten mit ihrem Projekt nicht zum Abschluss kommen, aber der Nachwelt ihre Gestaltungspläne und Skizzen hinterlassen, nach denen Grafiker die Illustrationen für alle 211 Märchen vollenden können. Dem Lebenswerk der Künstlerin wurde bereits im Jahre 2011 die dauerhafte Bewahrung in der Handschriftenabteilung der Murhardschen Bibliothek zugesichert.

Lesen

Werdegang

ART
Bildende Künstlerin
Ausbildung bei Prof. em. Karl Oskar Blase von 2005 – 2009

2003 | 2004 Kunst beschützt Leben | Projekt für die Kulturhauptstadtbewerbung 2010

seit 2005 Märchenillustrationen auf Zebrastreifen-Design | Bildmarke
Handzeichnungen und digitale Grafik

seit 2006 Schilderkunst: Aus dem Verkehr gezogene Schilderbilder | digitale Grafik

seit 2007 Internationale Sammlung originaler Verkehrszeichen für Fußgängerüberwege

2012 Worldly Companion der dOCUMENTA (13)

2016 Auftakt-Initiative für den „Tag des Zebrastreifens“ 2017 im Quartier Königstor

2018 Konzeptentwicklung in Zusammenarbeit mit dem Straßenverkehrsamt Kassel

2019 Nationalitäten in Kassel | Jahresposter-Projekt
in Zusammenarbeit mit der Fachstelle Statistik Kassel

2020 Stadtplan | Fußgängerüberwege in Kassel
in Zusammenarbeit mit dem Amt für Vermessung und Geoinformation

2021 Märchen und Mobilität | Zebrastreifen-Installation
im „Freiluftexperiment Untere Königsstraße“

2022 Am Anfang war der Fuß, das Rad kam später
Kunstposter

2023 Seit September regelmäßig erscheinende Kolumne „Fußläufig unterwegs – Streifzüge durch kulturelle Welten“ im Kassel-Magazin StadtZeit. Jahresposter „Nationalitäten in Kassel | 2023“


Gruppenausstellungen

2008 Marburg/Lahn | Grimm-Boxes / Grimm-Box: Der Froschkönig

2009 Kassel | Zeit | ChronometerGANGart | Unternehmenspark Kassel UPK

2012 Kassel | Internationaler Grimm-Kongress | Märchen auf Zebrastreifen-Design

2013 Kassel | Randnotizen zur d13 | legale Buchstaben


Einzelausstellungen | Dauerausstellungen | Präsentationen

von 2013 bis 2022 Universität Kassel | Die mobile Gesellschaft in den Märchen der Brüder Grimm

2013 | 2014 Shanghai | Konzeptausstellung | Märchen und Mobilität | Hänsel und Gretel
Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Shanghai (2013)
Deutsche Schule Shanghai (seit 2014)

2014 Kassel-Niederzwehren | Unterirdischer Märchen-Zebrastreifen

2015 Melsungen-Altstadt | Wie kommen Rotkäppchen & Co. auf den Zebrastreifen?

2016 Müllwagen der Kasseler Stadtreiniger | Wir kehren auch für Rotkäppchen

2017 Tag des Zebrastreifens | Initiative zur Aufwertung des Quartiers Königstor

2018 Rücksichtnahme im Verkehr | Grobkonzept für eine geplante Kampagne

2019 Projektentwicklungen: Nationalitäten in Kassel | Deutsche Einheit im Jubiläum
Die toten Prinzen in den Märchen der Brüder Grimm | Auto+Baum
Erkundungen im Alphabet | 70 Jahre Grundgesetz | voll die Sonne

2020 Konzeptideen zur Förderung des klimafreundlichen Fußverkehrs

2021  Zebrastreifen-Installation im „Freiluftexperiment Untere Königsstraße“
Märchenillustrationen auf Zebrastreifen-Design
Schneewittchen | Die Bremer Stadtmusikanten | Der Bauer und der Teufel

2022 Am Anfang war der Fuß – das Rad kam später | Artikel im StadtZeit Kassel-Magazin, Ausgabe 109 April/Mai 2022
100 Tage – 100 Leute – 100 Texte | Kollektives Documenta-Tagebuch | Tag 17/100 am 07.07.2022
Beuys 7000 – 40 Jahre später | Zur sozialen Verwurzelung der Stadtverwaltung | Beitrag / Videoaufzeichnung
Gestaltung der Titelseite der StadtZeit, Kassel-Magazin 111. Ausgabe Aug./Sept. 2022
Oasen in der Betonwüste | Installation in der stillgelegten Tankstelle Königstor 33 | Vernissage 06.12.2022 | Finissage 19.04.2023

PSYCHE
Studium der Psychologie in Marburg/Lahn 1974 – 1980

1980 – 1991
Klinische Psychologin und Psychotherapeutin in
Fachklinken für Psychosomatik und psychogene Erkrankungen,
psychiatrischer Institutsambulanz und Tagesklinik
Dozentin und Supervisorin in der ärztlichen Fortbildung
Psychodrama-Therapeutin / Moreno-Institut Stuttgart
Psychoanalytikerin / Lou-Andreas-Salomé-Institut Göttingen
Gruppenanalytikerin

Seit 1991
Niederlassung in Kassel
Praxis für Psychosomatik und psychogene Erkrankungen

Seit 2007
Privat-Praxis in Kassel
Anwendung der Psychoanalyse in
Psychotherapie, Beratung (Coaching) und Supervision

§ Copyrighted Image